„Der Brexit wirft viele Fragen auf“

Stiftung für die Freiheit diskutierte vier Wochen nach dem Brexit mit Experten über die Zukunft Europas
Nachricht01.08.2016
RvBS
Veranstaltungen in NRW und Niedersachsen zum Thema Brexit

 

Ein Ausblick in die Zukunft Europas nach dem Brexit.

„Die Einigung Europas war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Hoffnung und Garant für Frieden und Sicherheit auf dem europäischen Kontinent. Auch wenn das britische Königreich nicht zu den sechs europäischen Gründerstaaten zählte, war Großbritannien seit seinem Beitritt im Jahr 1973 ein wichtiger Mitgliedsstaat und eine tragende Säule der Europäischen Union. Das Brexit-Referendum markiert deshalb eine Zäsur für die Europäische Union, die viele EU-Bürger mit Sorgen und unbeantworteten Fragen zurücklässt. Monatelang war der Brexit in aller Munde. So auch bei uns. Die Stiftung für die Freiheit hat nach der Entscheidung der britischen Wähler für einen Ausstieg aus der EU mehrere Veranstaltungen in verschiedenen Regionen organisiert. Wie geht es weiter nach dem Brexit? Auch vier Wochen nach dem Referendum ist eine Verunsicherung in Europa zu spüren.“

In Bonn und Göttingen diskutierten in den vergangenen Wochen über 170 Personen mit Vertretern der Europäischen Kommission und der Europa Union.

In Bonn erklärte Jochen Pöttgen, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Bonn, in einem Impulsvortrag, wie erstaunt er und seine Kollegen darüber waren, dass sich die Briten im Referendum für „Leave“ entschieden hatten: "Ich hoffe, dass Sie mir glauben, dass sich von uns absolut niemand hat vorstellen können, dass ein Volk sich für Ungewissheit entscheidet." Auch Harm Adam, Vorsitzender der Europa-Union Göttingen war wie er sagt „tottraurig:  „Großbritannien ist ein starker Wirtschaftsfaktor in der EU, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik sind sie nach der USA der „Global Player“. Großbritannien ist nach meiner Einschätzung ein politisches Schwergewicht und ein Austritt schwächt die Europäische Union“.

Warum es nun doch dazu gekommen ist und wie es nun in Europa weitergehen sollte, diskutierte Jochen Pöttgen anschließend mit Hans H. Stein, dem Leiter des Regionalbüros Brüssel „Europäischer und Transatlantischer Dialog“ der Stiftung für die Freiheit. Herr Stein bedauerte den Brexit ebenso wie Herr Pöttgen. Er argumentierte, dass es nun eine wichtige Aufgabe der Mitgliedsstaaten sei, konstruktiv an der Europäischen Union zu arbeiten, statt negative oder unpopuläre Entwicklungen wie in der Vergangenheit üblich, bequem auf Brüssel zu schieben. Dies schade dem Image des gemeinsamen Projekts, in das die Mitgliedsstaaten schließlich freiwillig eingetreten seien. Auch für populistische Parteien sei es heutzutage leider attraktiv, gegen die Europäische Union Stimmung zu machen. Aus Sicht von Herrn Adam muss sich Großbritannien erst einmal klar werden, was sie wollen. „Premierministerin May nimmt jetzt, mit Boris Johnson als Außenminister,  David Davis als Minister des neugegründeten Ministeriums für den Austritt aus der Europäischen Union und Philip Hammond  als Schatzkanzler, die Brexit-Befürworter in die Pflicht, die aber ganz klar keinen Plan hatten, was passieren würden, wenn der Beschluss zu ihren Gunsten ausfallen würde.“

Zahlreiche Wortmeldungen der Teilnehmer zeigten, wie groß das Interesse war. Wie geht es jetzt weiter? Was machen jetzt andere Länder, wie Polen, Niederlande oder Frankreich? Wie sollte die EU und Deutschland reagieren? Was sind die besten Maßnahmen? Harm Adam: „Viele dieser Staaten haben Probleme die hausgemacht sind, aber das Chaos nach dem Brexit haben die Befürworter für einen EU- Verbleib in den Ländern wachsen lassen.

Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen ist schon einen Schritt weiter und diskutierte in Göttingen mit den Teilnehmern die Zukunft.

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Konstantin Kuhle bei der Erläuterung seiner Zukunftssicht

„Weiter so" darf es auch für die EU nicht geben. Die Welle des Populismus muss gestoppt werden. Ernsthafte Reformen sind gefordert, denn die Bürger erwarten von der EU Handlungsfähigkeit.“ Konstantin Kuhle empfiehlt fünf wesentliche Schritte für #NEUropa.

„Den Fokus auf Freihandel legen! Aus meiner Sicht führt mehr Freihandel langfristig zu einem politischen Zusammenwachsen. Dieser Weg muss gestärkt werden. Der EU-Ministerrat muss bestimmte Gesetzgebungsvorhaben der EU-Kommission blockieren, diese führen nur zu mehr Bürokratie und Bevormundung. Außerdem  sollte die EU ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien und Nordirland verhandeln sowie die Hürden, die der TTIP-Verhandlungen mit den USA im Weg stehen ausräumen. GB soll sich nicht die Rosinen heraus picken. Modelle wie Norwegen sind vorstellbar, die müssen an die EU für das Handelsabkommen zahlen. Sicherheitspolitischen Mehrwert für EU-Mitgliedsstaaten erhöhen! Der Vorteil liegt für die Mitgliedsstatten darin, dass diese ihre Sicherheitsinteressen aufeinander abstimmen können. Die Integration nationaler Streitkräfte sollte genutzt werden. Durch die Schaffung zusätzlicher gemeinsamer Einsatzgruppen können Kosten reduziert und die Effizienz erhöht werden.

Mehr Einfluss für den Wähler! Die Wähler sollten zwischen Spitzenkandidaten der europäischen Parteifamilien wählen können und zwar nach einem einheitlichen Wahlrecht und es sollte an einem Tag in der gesamten EU gewählt werden.

Eine neue europäische Verfassung! Der Vertrag von Lissabon stammt noch aus einer Zeit vor Euro- und Flüchtlingskrise. Eine Insolvenzordnung für Mitgliedsstaaten und ein neues verbindliches Asylsystem muss festgelegt werden.

Selbstvergewisserung! Europa ist die Zukunft. Beim Brexit haben wir gesehen, dass insbesondere die Älteren für einen Austritt stimmten. Je jünger die Wähler, desto eher votierten sie für einen Verbleib. Die verbleibenden Mitgliedsstaaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden - auch gegenüber einer jungen Generation.“

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Jan-Frederik Kremer

„Der Brexit wirft viele Fragen auf. Wir wollten den Menschen die Möglichkeit geben, ihre persönlichen Anliegen zu diskutieren. In Kooperation mit der Vertretung der EU-Kommission und der Europa-Union Göttingen ist uns das sehr gut gelungen“, fasste  Jan-Frederik Kremer, Leiter Regionalbüro NRW zufrieden zusammen.

Jetzt wird es ernst. Großbritannien und die Europäische Union müssen zur Vernunft kommen.

Wolfgang Gerhardt und Karl-Heinz Paqué