"Eine moderne Gesellschaft kann auf Startups nicht verzichten"

Interview mit Digital-Experte und Autor Christoph Keese
Meinung20.02.2017
RvBS
Lesung Silicon GermanyFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Digitalisierung schaltet gerade den Turbo ein.  Die Umbrüche in der Arbeitswelt sind dabei kolossal. Wie weit Deutschland in der Digitalisierung zurückgefallen ist, sehen wir nicht nur zuhause, sondern auch in der Wirtschaft. Bekannte deutsche Unternehmen stehen im Abseits, weil der digitale Wandel an ihnen vorbeigezogen ist. Dies liegt zum Teil an betriebsinternen Regelungen, aber auch an politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen. 

Zu diesem Thema las der Digital Experte Christoph Keese hinter historischen Mauern vor mehr als 200 Zuschauern in Hannover. Fokus seines vierten Buchs „Silicon Germany“ ist der Fehlstart Deutschlands in der Digitalisierung. Freiheit.org hat den Autor, der 2016 mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet wurde, zum Interview getroffen. 

 Lesung mit Christoph Keese
Lesung mit Christoph KeeseFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Herr Keese wie schätzen Sie die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft auf dem Weltmarkt ein?

Noch ist Deutschland auf dem Weltmarkt überaus konkurrenzfähig. Doch die Erfolge der Gegenwart dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Viele Märkte der Zukunft werden digital sein. Und ausgerechnet bei der Digitalisierung weist Deutschland erhebliche Defizite auf. Kein globaler Erfolg eines digitalen Unternehmens ist seit Erfindung des World Wide Web aus Deutschland oder auch nur aus Europa gekommen. Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Noch haben wir alle erdenklichen Chancen.  Doch wir müssen sie auch nutzen. Maschinenbau hat uns groß und erfolgreich gemacht. Darauf können wir stolz sein. Doch nun müssen wir lernen, Geschäftsmodelle und Produkte aufzulegen, die nicht mehr nach dem Modell Maschinenbau funktionieren. Das ist nicht leicht, aber machbar. Wenn wir uns dieser Herausforderung nicht stellen, wird Deutschland das Technikmuseum des 19. Jahrhunderts.

Innovation ist besser als Stillstand, dass haben wir bei unserer Roadshow  der "Innovationsoffensive" schnell feststellen können.  Verschläft Deutschland die Digitalisierung? Was kann die Politik ausrichten, damit wir wieder stolz auf unsere Ingenieurstradition sein können und wie können die Deutschen Teil der Tech-Avantgarde werden?

Indem wir die Wandlungsfähigkeit und den Pioniergeist wieder entdecken, die in uns schlummern. Politik und Wirtschaft haben schon ganz andere Herausforderungen bewältigt. Stacheln wir unseren Ehrgeiz an. In den 90er Jahren haben wir die Automobilindustrie vor dem Niedergang gerettet, in dem wir von japanischen Methoden wie Lean Production und Just in Time gelernt haben. Lernen wir jetzt von den Stärken des Silicon Valley, vermeiden es dabei aber zugleich, seine Schwächen zu kopieren. Herauskommen kann dabei eine ganz eigene, starke Kultur: eine moderne, hoch digitalisierte Wirtschaft und Gesellschaft, die zugleich auf Fairness, Teilhabe und Gerechtigkeit setzt.

Was muss die Wirtschaft ändern, um sich Perspektiven zu erarbeiten? Welche Rolle spielen hierbei Startups?

Die Wirtschaft muss lernen, in neuen Geschäftsmodellen zu denken und sich horizontal besser zu vernetzen. Es reicht nicht mehr, in den Elfenbeintürmen seiner jeweiligen Fachrichtung zu denken und zu arbeiten. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist angesagt. Die neuen Superbranchen entstehen da, wo bisher Fernes zusammenwächst. Startups spielen dabei eine besondere Rolle, weil sie besonders geschickt darin sind, Unbekanntes miteinander zu vereinen. Denken Sie nur an Biotechnologie und Computertechnik, an Telefon und Server, an Neurologie und Big Data. Startups sind Brückenbauer zwischen den Disziplinen. Auf sie kann eine moderne, digitale Gesellschaft nicht verzichten.